Mit den Herausforderungen wachsen

Die Führungskräfte in der Möbelindustrie sind sich einig: Digitalisierung ist Fortschritt und Zukunft. Das ist eine wesentliche Erkenntnis der Digitalisierungs-Veranstaltung „Fortschritt durch digitale Lösungen in der Möbelindustrie – Best Practices und Erfahrungsaustausch“ der Verbände der Holz- und Möbelindustrie NRW. Es stellt sich heute also nicht mehr die Frage nach dem ob, sondern nach dem wie. Wie und in welchem Maß digitalisiere ich richtig?

Ein guter Startpunkt besteht darin, sich das Spielbrett der Digitalisierung – bestehend aus den vier Ebenen Strategie, Produkte und Märkte, Prozesse und Strukturen sowie Ressourcen – zu vergegenwärtigen.

Eine erfolgreiche Digitalisierung startet auf der Entscheider-Ebene

Viele Möbelhersteller haben noch keine konkrete Digitalstrategie. Diese ist jedoch unentbehrlich und deren Einbindung in die Organisationsstruktur sowie die gleichzeitige Verankerung der hieraus abgeleiteten Ziele und Maßnahmen im Unternehmen sind elementar. Ohne eine klare strategische Positionierung fehlt es an der Grundlage zur operativen Umsetzung in den einzelnen Unternehmensbereichen.

„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.“ Das stellte Carly Fiorina, damals CEO von Hewlett Packard (HP), bereits 2009 fest. Fiorinas Formel beschreibt die eindeutige Maßgabe, alles Existierende auf seine Digitalisierungsfähigkeit zu überprüfen. Das ist zweifelsfrei ein ambitioniertes Ziel. Aber ist es auch die richtige Strategie für die Möbelindustrie? Für die meisten Möbelhersteller wahrscheinlich nicht. Es ist sinnvoll, zunächst eine unternehmerische Stoßrichtung, wie z.B. Kostensenkung, Effizienz- oder Umsatzsteigerung festzulegen. Ohne konkrete Ziele und ohne eine belastbare Nutzenargumentation wird Digitalisierung schnell zum Verlustgeschäft.

Die Digitalisierung der Produkte und Märkte

Die Digitalisierung auf Ebene von Produkten und Märkten ist ein entscheidender Faktor für die Wachstumsstrategie, denn das Wachstumspotenzial im deutschen Markt und dem stationären Handel ist begrenzt. Die Erschließung neuer Märkte ist deshalb derzeit die größte Chance für Wachstum.

Corona hat offenbart, dass Hersteller und Händler mit einer Multichannel-Strategie besser durch die Krise gekommen sind. Als Möbelhersteller sollte ich deshalb den Anspruch haben, grundsätzlich alle Kanäle meiner Zielgruppe zu bedienen. Weiterhin muss eine sich anschließende Kaufentscheidung für mein Produkt so einfach wie möglich umsetzbar sein. Das ist heute insbesondere beim Online-Küchenkauf noch nicht der Fall, auch wenn andere Länder wie Schweden die Machbarkeit bereits erfolgreich demonstrieren. Der Onlinemarkt hat ein großes Potenzial für Wachstum und Automatisierung. Außerdem knüpft der Kunde eine hohe Erwartung an Online-Märkte. Zukünftig ist eine Auswahl von Handelspartnern entscheidend, die technisch einwandfreie und pragmatische Lösungen bieten. Hierbei ist auch der Vertrieb von Möbeln und Küchen ins Ausland zu berücksichtigen.

Der Blick auf die Produkte ist auch eine Frage der Kernkompetenz. Eine Küche, ein Sofa oder ein Schrank werden im Kern immer ein physisches Produkt sein, dennoch steigt der Wunsch nach digitalen Produktmerkmalen, die sich an neue Verhaltensmuster der Kunden anpassen. Verändert hat sich zum Beispiel die Art des Kochens. Früher wurde ein Kochbuch verwendet, heute ist es eine Video-Kochanleitung. So wird zwar morgen kein Küchenhersteller beginnen, Bildschirme selbst zu bauen, aber man wird sich dafür öffnen müssen, das Produktsortiment durch entsprechende digitale Merkmale zu Smart Furniture zu erweitern.

Auf der Ebene der Produkte und Märkte ist Digitalisierung also die bewusste Entscheidung für innovative Ansätze, Kompatibilität und Individualität sowie die richtige Partnerwahl.

Das größte Potenzial liegt in bestehenden Abläufen und Strukturen

In der Prozessoptimierung stecken die größten Kostensenkungspotenziale. Diese lassen sich jedoch nur bis zu einem gewissen Grad allein durch den jeweiligen Möbelhersteller realisieren. Es ist also kein Geheimnis, dass die Möbelindustrie eine Zusammenarbeit über die Unternehmensgrenzen hinaus benötigt, um erfolgreich zu sein.

Eine allgemeine Bewertung des Reifegrades von Prozessen und Strukturen ist insgesamt schwierig. Zu viele Faktoren wie Unternehmensgröße, Produktionstiefe und Handelspartner beeinflussen das Gesamtbild. Dennoch sind die Erkenntnisse und die Chancen durch Digitalisierung offensichtlich.

Viele Mitarbeiter/innen waren zu Beginn der Pandemie nicht arbeitsfähig. Die innerbetriebliche Zusammenarbeit hat unter den Kontaktbeschränkungen gelitten und musste digitalisiert werden. Wer darüber hinaus frühzeitig auf Cloudlösungen gesetzt hat, erlebt heute einen Wettbewerbsvorteil.

Die genaue Kenntnis der Liefersituation und Lagerbestände entscheidet in Zeiten von Materialknappheit und Preissteigerungen über die Handlungsfähigkeit. Für mehr Transparenz in der Lieferkette sind digitale Lösungen erforderlich. Das Produktionsprogramm ist flexibel anzupassen und die Rentabilität der eigenen Produkte laufend zu überwachen. Die hohe Preissteigerung von Materialien führt in vielen Fällen zu der Notwendigkeit, sein Preismodell zu überdenken.

Ein Blick auf die Top-Maßnahmen des Workshops der Möbelindustrie zeigt, dass drei Themen besonders im Fokus stehen: Vernetzung der inner- und außerbetrieblichen Zusammenarbeit, Cloud-Lösungen und IT-Sicherheit. Eine dosierte Prozessoptimierung ist zusätzlich ein guter Weg, um selektive Schwachstellen zu schließen.

Viele Ansätze und unterschiedliche Ausgangssituationen prägen Prozesse und Strukturen. Ein großes Potenzial liegt nach wie vor in einer Prozessoptimierung.

Digitalisierung für einen optimierten Ressourceneinsatz

Ressourcen sind ein Engpass. Der Fokus durch Digitalisierung liegt deshalb darauf, die Ressourcennutzung und -beschaffung zu optimieren. Das betrifft Personal, Nachhaltigkeit und Materialeinsatz gleichermaßen.

Ein Blick auf den Nachwuchs- und Fachkräftemangel zeigt, dass ein Umdenken erforderlich ist. Wesentliche Treiber dafür sind ein Überalterungsproblem, steigende Personalbedarfe, neue Mitarbeiterprofile, Wegzeiten und Kontaktbeschränkungen. Junge Menschen haben spezielle Anforderungen an das Arbeitsleben. Eine mögliche Reaktion ist die Festlegung geeigneter Berufsbilder für Festanstellungen mit flexiblen Arbeitszeitkonten und, wenn möglich, einem hohen Homeoffice-Anteil (80%). Das erfordert die Umsetzung einer digitalen Arbeitsplatzausgestaltung und eine Marketingkampagne zum Berufsbild. Der Einsatz von Social Media gilt als eine wichtige Maßnahme bei der Mitarbeitersuche und ist heute für die junge Generation Standard.

Ähnlich verhält es sich mit der Nachhaltigkeit. Es existieren viele gute Ansätze wie das FSC-Siegel, das PEFC-Zertifikat oder das Goldene-M. Doch man fragt sich, was davon beim Endkunden ankommt. Die zielgruppengerechte Kommunikation von Nachhaltigkeit und Innovation ist möglich, wenn man die Potenziale von Social Media, Google Analytics und Co. richtig ausschöpft. Darüber hinaus gilt es in der Produktion, wie bereits in der Vergangenheit, den Material- und Energieverbrauch weiter zu senken. Die steigenden Energie- und Materialkosten sind dabei ebenso wie Umweltaspekte die Hauptmotive.

Die Chancenverwertung entscheidet über den zukünftigen Erfolg

Man kommt zu der Erkenntnis, dass Herausforderungen auch Chancen sind, das Gegenwärtige zu hinterfragen. Die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs durch kurzfristig wirksame Maßnahmen ist eine gute Basis für die Umsetzung strategischer Digitalisierungsmaßnahmen. Die jüngste Vergangenheit hat viele wichtige Erkenntnisse für die Möbelindustrie geliefert und daraus Chancen generiert, sich langfristig gut aufzustellen. Vorzeichen und Auftragslage sind gut. Wichtig ist, dass man die gute Ausgangssituation nun nutzt und die Weichen in Richtung Zukunft stellt, damit Digitalisierung in der Möbelindustrie zum Fortschritt führt.